Carlton Mellick III - Die Kannibalen von Candyland

Wortwanderin | 17. Februar 2014 | / / |







Nachts ziellos durch die Accounts seiner Goodreads-Freunde zu stöbern, kann mitunter seltsame Folgen haben. So wie in diesem Fall. Da lachte mich dieses schreiend bunte Cover an und ich klickte aus reiner Neugier drauf, weil ich wissen wollte, was es damit auf sich hat. Der Titel brachte mich zum Lachen, das Cover sah fantastisch schräg aus und auch der Inhalt klang so ungewöhnlich, dass ich die nächsten zwei Stunden damit zubrachte, mich im Genre der Bizarro Fiction umzusehen. Schließlich durften "Die Kannibalen von Candyland" von Carlton Mellick III bei mir einziehen und sie gaben alles, um mich zu überzeugen. Mit Zuckerguß und Weingummipeitsche.





Franklin lebt mit seiner verhassten Ehefrau und seiner noch verhassteren Schwiegermutter in einem kleinen Häuschen. Wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, sein Kätzchen Crabcake zu beschmusen oder sein künstliches Gehirn auszulüften, macht er Jagd auf die Zuckermenschen. Das sind menschenartige Wesen völlig aus Süßigkeiten bestehend. Sie fressen Kinder und machen in der Menschenwelt Jagd auf sie. Seine drei Geschwister sind damals einer Zuckerfrau zum Opfer gefallen. Seitdem schwört er auf Rache und will alle Zuckermenschen zur Strecke bringen. Auch um endlich alle Zweifler davon zu überzeugen, dass es sie wirklich gibt. Eines Tages wird er Zeuge eines Mordes durch einen Zuckermann und verfolgt ihn bis in sein Reich. Dort wird er von Jujube, einer Zuckerfrau gefangen genommen und zu ihrem Gatten gemacht. Einem Ehemann aus Zucker.

 

Zuerst möchte ich kurz auf das Buch an sich eingehen. Ich empfehle dringend, das richtige Buch (also nicht das eBook) zu kaufen. Denn: Der Festa Verlag kredenzt uns hier ein Werk, von dem sich andere Verlage ruhig eine Scheibe abschneiden könnten. Das Cover ist mit einer Duftschicht versehen. Reibt man daran, riecht es zuckersüß. Das Buch ist ein robustes Hardcover mit Lesebändchen, obwohl es gar nicht so viele Seiten hat. Und die Seiten sind rosa. Alle. Es ist wunderschön gemacht und unterstützt diesen schaurig schönen Schrecken, der den Seiten innewohnt. Beide Daumen hoch, ich habe mich sofort verliebt!

Jetzt ist das Genre Bizarro Fiction für die Meisten sicher Neuland, deswegen gehe ich hier ganz knapp mal drauf ein, was den Leser überhaupt erwartet. Macht euch gefasst auf schräge Plots mit einem gewissen Schockfaktor. Aber auch auf sehr kreative Ideen und einem Humor, der nicht ganz alltäglich ist. Hier sind die Geschichten zu Hause, für die man beim Lesen komisch angeguckt wird. Es gibt rohe Gewalt, teilweise so übertrieben, dass man lachen muss. Es gibt Sex, der verstörend bis abstoßend, aber nicht minder interessant ist. Bizarro Fiction ist definitiv nichts, was man einfach so im Buchhandel findet. Das Nischenprodukt richtet sich an Liebhaber und solche wie mich, die einfach mal was "anderes" lesen wollen.

"Die Kannibalen von Candyland" ist dabei ein geeignetes Einsteigerbuch für Genreneulinge. Es war bizarr, aber mit angezogener Handbremse. Was für den Anfang sicher nicht schlecht ist. Mellick bedient sich einem verbreiteten Kindheitstraum - dem Land aus Süßigkeiten - und mischt es mit Aspekten aus Horror und Erotik. Dass er dabei sicher keine literarische Höchstleistung vollbringt, dürfte ihm reichlich egal sein, denn er macht es ja durch seine Kreativität wieder wett.

Die Geschichte geht gleich in die Vollen. Eine aufwändige Charaktereinführung bleibt aus. Man erfährt ein paar Hintergrundinformationen zu Franklin. Die muss man so nehmen wie sie sind, denn mehr gibt es nicht. Auch sonst fehlt das, was einem Roman eigentlich seine Tiefe verleiht. Charakterentwicklung? Eine nähere Beschreibung zu Gedanken, Hoffnungen? Pah! Dieses Buch ist die Essenz eines Romans. Hier hält nichts auf, hier wird nichts künstlich gestreckt. Friss oder stirb. Ich fand es großartig.

Lediglich der Fakt, dass manches zu einfach gestrickt ist, hat mir den Lesegenuss ein bißchen verleidet. Zuckermenschen, die sofort auf die richtige Spur kommen. Eine Waffe, die just in greifbarer Nähe steht, wenn man sie braucht. Abgesehen davon ist aber alles erstaunlich rund. Insofern macht es einem auch nix, dass Frauen in der Regel angekettet werden, Geschlechtsteile vorm ersten Akt freigeleckt werden müssen und putzige Marshmallowhündchen Gefahren für den Nachwuchs im Ei darstellen. Ist halt so im Zuckerland. Den ein oder anderen Schockmoment hatte das Buch dann aber doch parat.

Franklin wird als sehr gespaltener Charakter gezeichnet. In der Menschenwelt ein Weichei ohne Stimme, fordert er in Candyland auf einmal Rechte ein, die er eigentlich gar nicht haben dürfte. Jujube, seine Zuckerfrau, amüsiert durch ihre schockierend süße Art. Ich mochte sie wirklich gern, irgendwie zumindest (ist es okay, einen Charakter zu mögen, der Kinder zerfleischt? Fragen über Fragen!).

Während des Lesens war ich völlig in Candyland abgetaucht. Neugierig verfolgte ich die Verzuckerung Franklins und die gesellschaftlichen Normen. Es war hoch interessant zu lesen, wie das eigentlich alles läuft in Candyland. Man wünscht sich, das Buch wäre länger und es gäbe noch mehr zu lesen über diese seltsame Welt. Dass es dann doch schon nach 160 Seiten ein Ende findet, fühlt sich dennoch richtig an. Es gab einen stimmigen Abschluss, mit dem man gut leben kann.


Mein erstes Abenteuer im Bereich der Bizarro Fiction war ein witziger, schräger, teils verstörender Ritt. Als Abwechslung zur "normalen" Buchwelt waren "Die Kannibalen von Candyland" bestens geeignet. Darüber hinaus haben sie Lust auf mehr gemacht. Ich werde mich sicher noch weiter in diesem Genre umsehen, denn wie es scheint, kann man damit ja richtig Spaß haben. Ich vergebe 4 von 5 Weingummiblättern und geh jetzt mal mein Zuckerwattehaar richten.





Titel: Die Kannibalen von Candyland 
Autor: Carlton Mellick III 
Originaltitel: The cannibals of Candyland 
Genre: Bizarro Ficition 
 Verlag: Festa 
Seiten: 160 
Preis: 16,80€ (gebundene Ausgabe) | 4,99€ (Kindle Edition) | bisher nicht als TB erhältlich


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Fotos: ©Festa Verlag ©Amazon

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