Jasper Fforde - Grau (Shades of Grey #1)

Wortwanderin | 19. Juli 2013 | / / / / |
Jasper Fforde zählt unbestreitbar zu meinen Lieblingsautoren. Seine Thursday Next-Reihe ist eine Perle in meinem Bücherregal und sein schräger, kreativer Stil hat mein Herz im Sturm erobert. Auch wenn ich "Grau" schon lange lesen wollte, dauerte es doch einige Zeit bis uns das Schicksal dann doch zusammenführte (irgendwas ist ja immer...).

Buchdaten

Autor: Jasper Fforde
Titel: Grau
Reihe: Shades of Grey, #1 von 3
Preis: 19,95€ (gebundene Ausgabe), 15,99€ (Kindle), als TB bis dato nicht erhältlich
Verlag: Eichhorn
Seitenzahl: 469

Die Welt der Farben

"Grau" spielt in einer Zeit weit nach der unseren, wobei eine genaue Jahreszahl nicht angegeben wird. Das Leben richtet sich nach den aufgestellten Regeln eines gewissen Munsell, dessen Ideologien nicht in Frage gestellt werden. Auf ihn gehen auch diverse Rücksprünge zurück, bei der die Menschheit sich immer weiter sehr ursprünglichem Leben nähert (z.B. durch das Verbot industrialisierter Landwirtschaft und Wiedereinführung des Ackerbaus durch Pferde). Die Bevölkerung ist inzwischen nicht mehr in der Lage alle Farben zu sehen, sondern kann nur noch jeweils eine Farbe erkennen. Die Gesellschaft wird dementsprechend strikt hierarchisch nach Farbsicht unterteilt, wobei die Purpurnen zur Spitze gehören, während Graue ein geradezu sklavenartiges Leben am Boden der Pyramide führen. Geheiratet wird demnach kaum noch aus Liebe, sondern zum Zweck des sozialen Aufstiegs. Im Alter von 20 Jahren legt jedes Mitglied des Kollektivs den sogenannten "Ishihara" ab - einen Sehtest, der über die Einordnung in die verschiedenen Farbsichten entscheidet. Krankheiten werden ebenfalls durch den Einsatz von Farben kuriert, diese ehrenvolle Aufgabe ist dem Beruf der Mustermänner vorbehalten. Edward "Eddie" Russett ist der Sohn eines eben solchen.

Ein Mann sieht Rot - wortwörtlich

Eddie Russett (zu Deutsch Rostrot) reist mit seinem Vater in die Randzone, denn er wurde wegen ungebührlichen Benehmens dazu verdonnert, sich in Demut zu üben. Zu diesem Zweck soll er alle Stühle in der Randzone zählen. Eddie ist zur Hälfte einer Oxblood versprochen, die seine rote Farblinie aufwerten soll. Seine Rotsicht ist besser als er zugeben mag, was ihn hoffen lässt, einmal Präfekt zu werden. Engagiert fügt er sich vorerst den Regeln der Gesellschaft, doch dann wird Eddie Zeuge eines seltsamen Todesfalls. Da Eddie, zum Leiden des Kollektivs, über ein Gewissen und Neugier verfügt, stellt er Nachforschungen an. Schon bald treiben sie ihn in die Arme von Jane Grey, einer Grauen mit einer hinreißenden Stupsnase. Es kommt, wie es kommen muss. Eddie verliebt sich in das kratzbürstige Dienstmädchen, das ihm ständig mit seiner Ermordung droht. Ein Roter und eine Graue? Nach unten in der Farbskala heiratet nun wirklich niemand. Aber das Schicksal lässt die beiden nicht mehr los und letztlich machen sich beide daran, die grausigen Geheimnisse des Kollektivs aufzudecken. Denn nichts ist, wie es scheint.

Eindrücke

"Grau" ist ein typischer Fforde. Der Roman strotzt nur so vor kreativen Einfällen (das Kollektiv fürchtet Schwäne), schrägen Ideen (asphaltierte Straßen reinigen sich selbst) und unvorstellbaren Tatsachen (jedes Tier verfügt über einen Strichcode). Und auch wenn die erste Beschreibung der Welt in diesem Roman nahezu erschreckend erscheint, so schreibt Fforde gewohnt leichtfüßig. So wird die Dystopie zu einem Stück Humor und verliert ihren Schwermut. Nicht selten muss man also schmunzeln, wenn mal wieder eine sinnbefreite Erklärung fällt.

Der Autor versteht es, wichtige Informationen zurück zu halten und einen Spannungsbogen aufzubauen, an dem man klebt wie eine Motte an der Kerze. Auch die Ausarbeitung der Charaktere ist sehr gelungen. Fforde verzichtet auf Stereotypen und enthüllt im Verlauf der Geschichte immer weitere Wesenszüge. Die Entwicklung der Figuren gefällt und wird nicht dröge, auch wenn man natürlich mit diversen Wendungen rechnet. Nebenfiguren sind Fforde-typisch abgedreht und liebenswert. Die amüsanteste Erscheinung ist der Apokryphe Mann. Einfach herrlich, zum sich wegschmeißen lustig.

Eddie war mir durchweg sympathisch. Charmant ist besonders, dass er ursprünglich eigentlich gar nicht einsehen will, dass er gegen die Munsell'schen Regen verstoßen möchte. Der Zugang zu Jane fiel mir schwerer, denn sie war dermaßen auf Konfrontation ausgelegt, dass es wirklich bis zur zweiten Buchhälfte gebraucht hat, bis ich mit ihr warm wurde. So erging es mir auch mit der Liebesgeschichte der beide. Ihre Liebe ist nicht romantisch, sondern versprüht eher einen eiskalten, trockenen Charakter - aber das passt.

Zuletzt: Der deutsche Titel gefällt mir weniger. Er greift zwar die Welt des Buches auf, ist aber viel zu weit gestreut. Immerhin geht es im Kern nicht um Grausehen, sondern die Reise in eine Stadt names Hoch-Safran.
Insofern bin ich gespannt, wie der Titel des zweiten Bandes im Deutschen lautet.

Fazit

Eine mal ganz andere Dystopie. Sie zieht den Leser nicht runter, sondern ist zum Bersten gefüllt mir Kuriositäten und Lachern. Darin verwoben ist eine hoch spannende Geschichte mit sympathischen Charakteren und einer Welt, die sowohl verwirrend als auch faszinierend ist. Von mir also eine ganz dicke Leseempfehlung und verdiente 5 Melonen.


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